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Bildung für Kranke
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Fr. Augenstein

Neues Herz und dann? …

Dagmar Augenstein
Lehrerin Schule für Kranke

Susanne M., 17 Jahre alt (Name geändert), wurde Ende März bei uns aufgenommen. Sie kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt, hat seit ihrer Geburt viele Kliniken kennenlernen und einige Operationen über sich ergehen lassen müssen und ist jetzt für eine Herztransplantation gelistet, d.h. sie muss so lange in der Klinik bleiben, bis ein geeignetes Spenderherz gefunden worden ist.

Susanne sagt noch wenig, was ihre Krankheit betrifft. Aber sie ist bereit, mit mir Unterricht zu machen, was aus medizinischen Gründen nur am Bett möglich ist. Von der Klassenlehrerin bekomme ich nicht nur den Stoffplan, sondern erfahre auch einiges über Susannes schulisches und soziales Umfeld. Bereits in der Grundschule musste die Schülerpatientin zweimal eine Klasse aus gesundheitlichen Gründen wiederholen. Jetzt befindet sie sich in der Abschlussklasse und wird diese voraussichtlich nicht beenden können. Jeden Morgen kurz nach neun Uhr bin ich bei ihr und wir machen Unterricht, Deutsch, Englisch und Mathematik. Sie ist nicht sehr belastbar, sie ermüdet rasch, arbeitet recht langsam, dafür aber sehr ordentlich, gewissenhaft und geduldig. Bücher und Hefte liegen um das Bett herum verstreut, zwischen Medikamentenschachteln unter Kabeln und Schläuchen, an die sie angeschlossen ist. Eine andere Arbeitsatmosphäre kennt sie kaum noch. Die Warterei auf das neue Herz strapaziert ihre Nerven, sie wird immer unzufriedener und trauriger. Dann plötzlich – mitten in einer Unterrichtsstunde – erzählt sie von ihrer Krankheit und zeichnet mir auf ein Stück Papier auf, was an ihrem Herzen nicht in Ordnung ist. Und genau so habe sie es auch mal ihrer Klasse erklärt, fügt sie hinzu.

Eine psychologische Betreuung gibt es neuerdings, doch die Mitarbeiterin kann nur einmal pro Woche kommen. Aber ihr öffnet sie sich auch wenig. Ebenso fällt es dem Personal schwer, einen Zugang zu ihr zu bekommen. Sie hat einfach die Nase voll von schmerzhaften Untersuchungen, Ultraschall, Langzeit-EKGs, bitteren Medikamenten, dem Krankenhausessen und vor allem der großen Ungewissheit und der damit verbundenen ständigen Anspannung. Manchmal bekomme ich ihre Enttäuschung auch so unmittelbar und schonungslos mit, so dass ich den Unterricht abbrechen muss. Susanne lehnt meinen Vorschlag, brieflich mit der Klasse in Verbindung zu treten, ab. Inzwischen liegen auch die Nerven der Mutter, die noch ihre Familie zu versorgen hat, blank. Über meine Dienstzeit hinaus höre ich ihr zu und mache ihr Mut. Dann kommt der große Tag: Ein Spenderherz ist gefunden, Susanne kann endlich transplantiert werden. Zum ersten Mal lerne ich die gesamte Familie kennen. Danach geht es Susanne spürbar besser. Zurück auf der Normalstation, sitzt sie wieder aufrecht im Bett, spricht wieder viel mehr und erzählt von ihrer Klasse, die jetzt in den Abschlussprüfungen steckt. Die Klassenlehrerin befürwortet, dass Susanne im nächsten Schuljahr, dem Wiederholungsjahr, wieder bei ihr in der Klasse ist.

Ich kann wieder etwas mit Susanne arbeiten, sie hat jetzt das Ziel vor Augen, im Herbst wieder durchstarten zu können. Bereitwillig und geduldig rechnet und lernt sie, merkt natürlich auch, dass sie vieles wieder vergessen hat. Jetzt ist jedoch erst mal die Reha angesagt, für die sie sich überhaupt nicht begeistern kann. Sie möchte endlich nach Hause, sie hat ihr eigenes Zimmer seit Monaten nicht gesehen. Wir verabschieden uns, ich verspreche ihr, mich im neuen Schuljahr wieder nach ihr zu erkundigen.

Nach den Sommerferien muss ich leider feststellen, dass Susanne wieder aufgenommen werden musste. Es ging ihr sowohl physisch als auch psychisch wieder viel schlechter. Sie ist noch depressiver geworden, blockt das Personal und mich ab. Aber medizinische Gründe machen einen erneuten Aufenthalt hier nötig. Mit mir möchte sie keinen Unterricht machen. Sie möchte sich selbst um die Schulunterlagen kümmern und den Stoff alleine bearbeiten. Ich biete ihr an, ihr bei der Kontaktaufnahme zu ihrem neuen Klassenlehrer – die alte Klassenlehrerin musste eine andere Klasse übernehmen – behilflich zu sein. Keine ablehnende Äußerung bedeutet für mich eine Zusage.
Für Susanne heißt der Aufenthalt hier wieder ein Aufenthalt ohne Entlassungstermin in nächster Zeit, was für sie doppelt schwer ist, weil sie immer wieder erleben muss, dass ihre Zimmernachbarinnen früher oder später nach Hause gehen können.

Jetzt hat sie wieder ihre Schulbücher, Arbeitshefte und Hefte, die gleichen wie im Vorjahr, bei sich. Auf mein Angebot, ihr bei der Bearbeitung zu helfen, folgt nur ein stummes Nicken. Soweit es ihre physische und auch psychische Verfassung zulässt, wiederholen wir langsam den Stoff vom letzten Schuljahr.

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